Im Rahmen von Firmenübernahmen wird üblicherweise mit einer Due Diligence geprüft, in welchem Zustand sich das Übernahmeziel befindet, ob allenfalls unerwartete Risiken vorliegen, und ob ein verlangter Preis als gerechtfertigt beurteilt wird. Bei einer solchen Due Diligence gibt es viele Fallstricke - geschönte Finanzberichte, verletzte Patente, laufende Verträge und Verpflichtungen oder Beziehungen zu Kunden, Partnern und Mitarbeitern. So kann es zum Beispiel passieren, dass essentielle Wissensträger unter den Mitarbeiter nicht identifiziert werden und dadurch später ein hohes Risiko eines Know-How Verlusts entsteht, etwa wegen Unzufriedenheit nach der Übernahme. Ausserdem wird ein spezieller Punkt bei der Risikoanalyse immer wichtiger: die Technical Due Diligence (auch Digital Due Diligence oder IT Due Diligence genannt).

Warum ist eine Technical Due Diligence besonders wichtig?

Gemäss unserer Erfahrung wird das Thema Technologie in M&A Projekten (Mergers & Acquisitions) zu häufig noch vernachlässigt. Stattdessen sind Themen wie Legal, Finanzen, Marketing und Human Resources stark im Fokus einer Due Diligence. Eigentlich ein Unding in unserer heutigen hochtechnisierten Welt. Die Ursache dürfte aber nicht zuletzt darin bestehen, dass die Initiative zu einem M&A Projekt oftmals nicht aus der Technologie-Ecke erfolgt.
Netscape-Erfinder Marc Andreessen, der auch Co-Founder der Risikokapitalgesellschaft Andreessen Horowitz ist, setzte bereits 2011 im Wall Street Journal das inoffizielle Motto der Digitalisierung in die Welt: „Software is eating the world“. Fast ein Jahrzehnt später und im Zuge der technologischen Entwicklung gilt heute ein neues Motto "Software Is Eating The World, But Services Are Eating Software". Oder andere wieder sagen “Digitization Eats the World”. Also kommt der technologischen Seite nach wie vor eine extrem hohe Bedeutung zu - und deswegen wird die Technical Due Diligence immer wichtiger. Schlussendlich ist Technologie insbesondere auch Software nichts anderes als ein Asset, das in irgendeiner Form bewertet werden muss. Und zwar möglichst präzise.

Für eine Technical Due Diligence sind Experten gefragt

Technologie, Software und Software Services sind mannigfaltig, und es kommen fast täglich neue Entwicklungen auf den Markt. Hier ist ein sehr breites und weitgefächertes Verständnis gefragt. Experten für diese Aufgabe müssen holistisch denken, evaluieren und agieren um adäquate und realistische Einschätzungen zu liefern. Eine langjährige Erfahrung sowie die Durchführung unterschiedlicher Due Diligence Projekte erzeugen einen breiten technischen Rucksack, der die Kompetenz in dieser wichtigen Disziplin erhöht. Z.B. müssen veraltete oder wenig verbreitete Technologien und Architekturen sofort erkannt werden. Darüber hinaus muss man sich ebenfalls in den anderen Bereichen der Due Diligence auskennen, damit man auch im Team als sachkundiges Mitglied anerkannt wird. Neben dem Gesundheitszustand der IT und der “technischen Schuld” (siehe nächster Abschnitt) ist die Frage der Skalierbarkeit und Zukunftsfähigkeit genauso von hohem Interesse - wie fit sind die Technologie-Architektur, die Infrastruktur, als auch die Mitarbeiter und das Management für die Zukunft? Die Antwort auf diese Frage beeinflusst den Übernahmepreis konkret.

Die Metapher der "technischen Schuld" kann helfen

Der Begriff der "technischen Schuld" (engl. technical debt) ist eine Metapher für mögliche Konsequenzen als Resultat von schlechter technischer Umsetzung, Defiziten und Versäumnissen in Softwareentwicklung und -Unterhalt, die eine finanzielle Belastung verursacht. Durch die erhöhte Komplexität steigt der Aufwand in jedem Projekt - sozusagen die Zinsen der technischen Schuld. Und das ist natürlich die Sprache der Finanzfachleute - auf diesem Weg erreicht man gemeinsam schneller einen Konsens mit den Kollegen.
Ist erstmal die technische Schuld identifiziert, kann man hieraus eine Menge Rückschlüsse ziehen, die für die Due Diligence als auch für die gesamte Risikobewertung wichtig sind:

  • Aufdecken von Risiken bei einer Übernahme (im Kontext von M&A)
  • Definition und Bewertung von Massnahmen die nach der Übernahme im technischen Bereich eingeplant werden müssen
  • Roadmap mittels Priorisierung für die Massnahmen nach der Übernahme  ( Strategie der Post Merger Integration,  Bereinigungsaktivitäten, Entscheidungen über Lizenzverträge, Erkennen von reduzierter Entwicklungsgeschwindigkeit wegen technischer Schuld, etc.)
  • Bewertung des Unternehmens im technischen Bereich, und die daraus resultierende Auswirkung auf den Gesamtpreis der Übernahme
  • Im Worst Case: Abkehr vom Deal

Fazit:

Eine Firmenübernahme steht und fällt sowohl mit dem aktuellen als auch zukünftigen digitalen Gesundheitszustand des Übernahmeziels. Wird eine grosse technische Schuld nicht oder fehlerhaft erkannt, kann das nach der Akquisition verheerende Auswirkungen haben. Deswegen ist es unerlässlich, bei einer Due Diligence von Anfang an die Technologie/Software als wichtigen Bereich mit auf der Agenda zu haben.