Stellen sie sich vor, sie bekommen einmal pro Jahr ihren physischen Kontoauszug von ihrer Bank. Daneben können sie Bankgeschäfte lediglich per Post oder im direkten Kontakt durchführen. Tönt dieses Szenario für sie auch nach etwas, das zu Zeiten von e-Banking, Mobile Banking und Neobanken in die entfernte Vergangenheit gehört? Glücklicherweise ist die Digitalisierung von Bankgeschäften bereits weit fortgeschritten.

Anders sieht es allerdings aus, wenn wir uns den Bereich Vorsorge und insbesondere den vieler Pensionskassen anschauen. Müsste dort nicht derselbe Komfort möglich sein? Und könnten Pensionskassen selbst nicht auch von einer ähnlichen Entwicklung, wie sie die Banken erlebt haben, profitieren?

Historie als Lehrmeister

Wenn dem so ist, dann sollte sich doch ein Blick in die Historie der Digitalisierung der Bankgeschäfte lohnen um daraus wertvolle Erkenntnisse für die Digitalisierung der 2. Säule unserer Vorsorge gewinnen lassen.

1. Eine (sichere) digitale Identität

Eine der grössten Herausforderungen, um den elektronischen Zugriff auf Konti und Bankgeschäfte erst zu ermöglichen war, den Bankkunden digital überhaupt greifbar zu machen. Eine digitale Identität und starke Authentisierungsmethoden waren die Lösung. Diese mussten so ausgelegt sein, dass ein skalierter Angriff ausgeschlossen werden konnte. Hardware-Token (Hardwarekomponente zur Authentifizierung von Benutzern), Streichlisten und später mTAN waren die am weitesten verbreiteten Lösungen. Diese wurden aufgrund von Benutzerfreundlichkeit und fortschreitender Smartphone-Verbreitung bald durch starke Software-Token auf Mobilgeräten abgelöst. Parallel mussten die Banken auch lernen, den Bankkunden z.B. mit geeigneter Kommunikation und Notifikationen mit in eine ganzheitliche Sicherheitslösung zu integrieren. Der nächste Schritt wäre nun, diese banken-spezifischen Token und Identitäten durch eine universell verwendbare e-ID und globale Anmeldeverfahren zu ersetzen.

Erkenntnis Nr. 1: Eine starke und benutzerfreundliche digitale Identität für Versicherte ist heute mit gängigen Technologien und Verfahren bereits möglich. Hier können Pensionskassen klar von den Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte profitieren.

2. Eine Internetfähige Architektur

Die meisten Banken verfügen über ein mehr oder weniger monolithisches Bankensystem, in welchem das Kerngeschäft wie die Kontoführung und Transaktionen abgewickelt werden. Frühe E-Banking-Systeme waren relativ direkt an diese Systeme angebunden. Dies bedeutete aber auch, dass das E-Banking zu einer teilweise unvorhersehbaren Last für das Bankensystem werden konnte. Und zum anderen, dass das E-Banking natürlich nur dann zur Verfügung stand, wenn auch das Bankensystem verfügbar war. Genau dies war aber nicht immer gegeben und lief somit dem Versprechen des allseits verfügbaren 24x7 Banking entgegen. Moderne Online-Architekturen entkoppeln hier sehr viel stärker von  Backend-Systemen. Diese lose Koppelung findet sich heutzutage in modernen Architekturen wieder, u.a. als CQRS (Command Query Responsibility Segregation), near-real-time Read-Caches und allgemein mit der Verwendung asynchroner APIs oder Event-basierter Ansätze.

Erkenntnis Nr. 2: Der Aufbau einer lose gekoppelten, modularen Online-Architektur als Basis zahlt sich aus – somit wird sichergestellt, dass Versicherte tatsächlich rund um die Uhr schnellen Zugriff haben.

3. Self-Service

Wie oben beschrieben, kann der rein technische Onlinezugriff mittlerweile mit gängigen Technologien realisiert werden. Kernfrage bleibt jedoch, was sind die Bedürfnisse als auch Berechtigungen eines Kundens resp. Versicherten online? Auch hier haben Banken eine wichtige Lernkurve gemacht. Insbesondere war es ganz klar nicht mit einer reinen digitalen Fassade getan. Der digitale Self-Service musste eng in die bestehenden Prozesse integriert werden. Speziell auch dann, wenn der Online-Kanal nicht der einzige Kanal war, über welchen Bankkunden interagierten. Nur so konnten zum einen die Bedürfnisse der Bankkunden (wie z.B. unmittelbare Antworten) erfüllt, zum anderen aber auch Einsparungen auf Seite Bank realisiert werden. Für viele Banken stellte alleine der Verzicht auf physische Kontoauszüge und Dokumente eine signifikante Einsparung dar, welche durch Personaleinsparungen im Kundendienst noch übertroffen wurden. Eine typische Win-Win-Situation für Kunde und Bank.

Erkenntnis Nr. 3: Die Einbettung der Online-Prozesse in die bestehenden Prozesse ist zentral. Nur so können sowohl Versicherter wie auch Pensionskasse optimal von der Digitalisierung profitieren. Dabei muss stets die gesamte Customer-Journey des Versicherten über alle Kanäle hinweg im Auge behalten werden.

4. Die richtigen Use Cases

Aber auch die eigentlichen Kundenbedürfnisse liessen sich nicht von Anfang an klar vorhersagen. So war nicht offensichtlich, welche Bankkunden in welchem Bereich lieber Online-Services oder den klassischen Kontakt mit einem Kundenberater bevorzugen würden. Zwar liess sich relativ schnell eine Basis an erwarteten Funktionalitäten wie z.B. Kontodetails oder Zahlungsaufträge herauskristallisieren, doch bei eher differenzierenden Funktionalitäten wie z.B. einer Budgetplanung war die Lage aber weniger ersichtlich. Die Banken begegneten diesem Umstand mit Kundenbefragungen und Marktstudien. Ultimativ aber auch mit dem raschen Umsetzen und Testen neuer Funktionalitäten direkt mit dem Bankkunden.

Erkenntnis Nr. 4: Es gilt, ein gutes Set an Basis-Funktionalitäten zu identifizieren und anzubieten. Darüber hinaus sollte die Organisation und Architektur auf rasches Testen neuer Funktionalitäten direkt mit dem Versicherten optimiert werden, um hier wertvolle Informationen in Form aktueller und tatsächlicher Daten zu gewinnen.

5. Öffnung und Ökosysteme

Die Attraktivität des Onlinekanals wurde im Banking bald durch eine florierende Fintech-Industrie weiter vorangetrieben. Diese und zuletzt auch Regularien erforderten zunehmend eine Öffnung der elektronischen Zugänge wie z.B. mit PSD2 in der EU. Die Banken bewegen sich also aktuell aus der rein dualen Bank-Kunde-Beziehung in die Welt eines echten Ökosystems. Dieser Schritt ist keinesfalls klein und erfordert klare Abwägungen. Ich vergleiche die Banken gerne mit Tankstellen: diese stellen heute ein Ökosystem unterschiedlicher Angebote (Anbieter wie z.B. Textilreinigungen, Restaurants, Shops, etc.) rund um das gemeinsame Erlebnis "Tankstopp" dar.
Wichtige Bausteine von Ökosystemen sind Open APIs (im Pensionskassen-Umfeld etwa das OpenPK-Projekt) aber auch neue Berechtigungsmodelle wie z.B. die direkte Erteilung eines "Consent", also der Erlaubnis für den Zugriff auf Daten durch Drittparteien durch den Bankkunden selbst.

Erkenntnis Nr. 5: Auch in der Vorsorge zeichnet sich die Entwicklung eines Ökosystems von unterschiedlichen Anbieter ab. Pensionskassen resp. nicht zuletzt auch deren Versicherte können von den aktuellen Entwicklungen der Technologie als auch bei Business-Modellen und Erkenntnissen der Banken unmittelbar profitieren. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass die Versicherten, welche von dieser Öffnung mit mehr Transparenz und Selbstbestimmung belohnt werden, nicht direkt die Kunden der Pensionskassen sind. Dieser Umstand führt dazu, dass der Übergang zum Ökosystem länger dauert, aber sich dennoch fortsetzen wird.

Als Acrea haben wir in über einem Jahrzehnt zahlreiche Kunden in der Finanzbranche bei eben den oben erwähnten Entwicklungen begleitet. Seit fünf Jahren setzen wir die so erlangten Erfahrungen auch im Bereich der Vorsorge erfolgreich bei unseren Kunden ein. Eine weitere Erkenntnis haben wir dabei auch gewonnen: Banken profitieren genauso auch von den (digitalen) Erkenntnissen der Pensionskassen. Die Digitalisierungsreise geht also weiter. Getreu unserem Motto: making digital (pension) work.